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Schlecht geschützte Arbeiter besprühen Reisfeld mit Pestiziden

Bild: Tan Kian Khoon / stock.adobe.com

Umweltbelastung

In einer seltsamen Verdrehung der Tatsachen tauchen seit Ende 2015 plötzlich gehäuft (Zeitungs-)Artikel auf, die behaupteten, vegetarische, besonders vegane Ernährung sei umweltschädlicher als Mischkost.

„Argumentiert“ wird da mit noch grösseren Importen, die notwendig wären (sind sie nicht) oder Unmengen von Gemüse, das Vegetarier aller Arten verzehren müssten, um wenigstens einigermassen den Kalorienbedarf zu decken (nein, 5 am Tag gilt auch für Fleischesser).

Diese Autoren führen stets die Transportwege an, da die für eine (streng) vegetarische Ernährung nötigen Lebensmittel natürlich aus möglichst weit entfernten Regionen herangekarrt werden müssten, mindestens aus Südeuropa, hauptsächlich jedoch von anderen Kontinenten. Dem Veganer wird unterstellt, dass er das (ach so umweltfreundliche) Schweinssteak durch einen Quinoa-Burger ersetze. Soja wächst bei solchen Leuten nur ausserhalb Europas (genau das wird für Tierfutter verwendet). Wer auf Fleisch verzichtet, verzehrt dafür immer Avocados, Kokosprodukte und Superfood, ist offensichtlich niemals, unter keinen Umständen, je in der Lage, regional und saisonal einzukaufen.

Dazu existieren schlicht keine Zahlen, doch vermutlich sind prozentual mehr Vegetarier auf kurze Transportwege bedacht als Mischköstler. Sie ziehen zumindest in meinem Bekanntenkreis hiesige Bio-Produktion importierten Lebensmitteln vor. Auch bei gleichem Budget steht ihnen mehr Geld zur Verfügung als Fleischessern, weshalb sie nicht vorwiegend auf den Preis achten müssen (Fleisch und Fisch sind wesentlich teurer als die pflanzlichen Eiweisslieferanten).

Andere weisen auf vegane oder vegetarische Schnitzel, Ragout, Würstchen und Milchersatzprodukte hin, deren Herstellung mit einem höheren Energieverbrauch verbunden sei. Das stimmt erstens nicht zwangsläufig, zweitens verzichten die meisten Vegetarier spätestens nach einer Eingewöhnungsphase darauf. Sie verwenden sie allenfalls, um etwas Abwechslung auf den Teller zu bringen, und bevorzugen kleine Produzenten. Deren Energie- und Wasserverbrauch liegt unter dem, was für ein echtes Schnitzel benötigt wird. Alle Studien zum Thema kommen ausnahmslos zum Schluss, dass vegetarische Menüs die Umwelt weniger belasten, am allerwenigsten die veganen Varianten (letztlich sogar die Wissenschaftler, welche unverschuldet die Diskussion angefacht haben).

Fast immer wird auch Dünger erwähnt, weil bei einer (ohnehin in nächster Zeit völlig unrealistischen) veganen Ernährung der Bevölkerung der tierische wegfiele. Es fehle an Stickstoff. Kunstdünger sei viel umweltschädlicher. Abgesehen davon, dass sich darüber trefflich streiten liesse (zu viel Gülle auf dem Feld ist so schädlich wie zu viel Kunstdünger), zeigen manche Bio-Landwirte in Europa, dass sie mit Gründünger, geschickt gewählten Fruchtwechseln und Mischkulturen auf Kunst- und tierischen Dünger sehr wohl verzichten können (richtig, nix mit Monokulturen, auf die Vegetarier angeblich angewiesen wären). Viele Hülsenfrüchte z. B. reichern den Boden mit Stickstoff an.

Was sonst noch folgt an Argumentation, ist kaum eine Antwort wert. Es gibt Perlen wie die, dass die Natur Nutztiere brauche, die mit ihren Hufen die Erde aufwühlen und so Wachstum erst ermöglichten. Oder dass die Veganer sich einen Dreck darum scherten, dass sie in rücksichtsloser Weise mit ihren Fahrrädern nützliche Insekten zermantschten. Auch, dass es nicht möglich sei, die Bevölkerung mit inländischen Produkten vegan zu ernähren. Das kann sein, einige Wissenschaftler sind jedoch anderer Meinung. Es wäre zumindest eher machbar als mit Mischkost, die nun mal Futterimporte braucht.

Auslöser der unnützen Debatte war eine Studie der Carnegie Mellon University. Die missverstandenen und aus dem Zusammenhang gerissenen Forschungsergebnisse führten dann zu Schlagzeilen wie „Vegetarier schaden laut Studie der Umwelt“. Der Verzehr von Kopfsalat sei dreimal schlimmer als der von Speck. Früchte und Gemüse, ebenso Milchprodukte und Meeresfrüchte, verbrauchten mehr Ressourcen und verursachten höhere Treibhaus-Emissionen pro Kalorie. Besonders „besorgniserregend“ seien Auberginen, Sellerie und Gurken. Ganz übel: Die Produktion gesunder Lebensmittel erhöhe den Energie- und Wasserverbrauch. Wirkt das in dieser Zusammenfassung schwachsinnig genug, ist der Originalartikel, aus dem ich zitiere, im Mäntelchen nüchterner Information noch unsinniger. Der Logik des Textes zufolge wäre das Beste für die Umwelt, wenn die Gesamtheit fortan ausschliesslich Fast-Food-Burger futterte – ohne Brötchen, Salatblatt, Zwiebeln oder Sauce natürlich (ok, in gewisser Hinsicht würde das tatsächlich bald sämtliche Probleme lösen. Endgültig).

Der erwähnte Beitrag ist keineswegs der schlechteste seiner Art. Zwischen Ende 2015 und Anfang 2016 fand sich in nahezu jeder Zeitung oder Zeitschrift mindestens ein Artikel zum Thema, wobei sich die meisten auf reines Veganer-Bashing beschränkten. Die Autoren scheinen mehrheitlich unreflektiert voneinander abgeschrieben zu haben. Allerdings, je unseriöser der Schreiber, desto mehr eigene „Argumente“ wurden dazuerfunden. Nur einige Befürworter der veganen Ernährung stellten diesem Quatsch widersprechende Fakten gegenüber. Letztendlich nahmen nur wenige Journalisten ihren Beruf ernst genug, um die Meldungen zu hinterfragen und sich mit der Materie tiefer auseinanderzusetzen, vor allem aber, sich die zu Grunde liegende Studie einmal anzusehen.

Die Wissenschaftler hatten nie die Absicht, vegetarische Lebensweisen zu verteufeln. Sie untersuchten vielmehr die Umweltauswirkungen der aktuellen Ernährungsempfehlungen der beiden US-Ministerien für Gesundheit und Landwirtschaft. Aufgegriffen wurde dann hauptsächlich die banale Erkenntnis, dass Kopfsalat pro Kalorie in der Produktion mehr Energie und Ressourcen verschlingt als Speck. Ein sehr kalorienarmes Nahrungsmittel wurde mit einem kalorienreichen verglichen. In anderen Worten: Wenn sich jemand ausschliesslich von Kopfsalat ernährte, würde er damit mehr Treibhausgase verursachen und Wasser benötigen, als einer, der dasselbe mit Speck versuchte (fragen Sie mich bitte nicht, wer zuerst an Mangelerscheinungen krepieren würde). Mais, Erdnüsse, Reis, Weizen, Spinat, Brokkoli sowie zahlreiche weitere rein pflanzliche Lebensmittel schneiden bei der Untersuchung jedoch deutlich besser ab als Schweinefleisch. Dieses kleine Detail haben viele Medien bewusst oder mangels Sorgfalt übersehen – und den simplen Umstand, dass Fleischesser der Gesundheit wegen nicht wesentlich weniger Früchte und Gemüse essen sollten als Veganer.

Trotz der falschen und falsch aufbereiteten Informationen können wir uns einigen Kritikern allerdings in einem Punkt voll und ganz anschliessen: Vegatarische Ernährung löst nicht alle Umwelt-Probleme. Der Einfluss von Industrie und Verkehr ist ebenso wichtig. Ausserdem spielt es sehr wohl eine Rolle, wo und wie unsere Nahrungsmittel produziert wurden. Ohne tiefgreifende Veränderungen in der Gesellschaft und Massnahmen der Regierungen weltweit lässt sich der ökologische Fussabdruck des Einzelnen nicht weit genug verringern, um eine drohende Klimakatastrophe tatsächlich abzuwenden. Falls das überhaupt noch möglich ist.