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Bild: ra2 studio / stock.adobe.com

Christentum

Darauf angesprochen, wie jemand Fleisch- und Fischkonsum mit seinem christlichen Glauben vereinbaren kann, darf er sein Verhalten gern mit der Bibel rechtfertigen. Mir persönlich ist diese Begründung allerdings ausschliesslich in Situationen begegnet, in denen mir der Gesprächspartner weismachen wollte, dass mein Essverhalten falsch sei. Religion wird so als ultimatives Totschlagsargument verwendet. Wer sich auf Gott beruft, hat schliesslich immer recht.

Diese Leute beziehen sich meistens auf einige schlecht zitierte Stellen im Alten Testament, wonach der Mensch Herr sei über alles, was da kreucht und fleucht, und es folgerichtig nach Herzenslust verspeisen dürfe. In Wirklichkeit gäbe es zahlreiche Passagen, in denen Gott Tieropfer fordert oder den Seinen Tiere zum Schlachten zur Verfügung stellt. Die aus dem Paradies Vertriebenen tragen beispielsweise plötzlich Tierfelle. Fleischverzehr wird mehrfach ausdrücklich erlaubt. Zudem verbietet keine der grösseren hiesigen Kirchengemeinschaften (inkl. Freikirchen) Fleisch oder gar Fisch.

Mit dem Alten Testament lässt sich ohnehin vieles begründen, was dem Neuen widerspricht. „Auge um Auge ...“ ist so ein Beispiel, das so gar nicht zur „anderen Wange“ passt. Doch auch im Neuen Testament finden sich manche Hinweise auf Fleisch- und Fischkonsum. Dass Christen heute sogar Schweinefleisch auf dem Teller haben, liegt daran, dass Jesus die damals bestehenden religiösen Verbote bekämpft habe. Paulus schreibt im Römerbrief: „Der eine glaubt, alles essen zu dürfen, der Schwache aber isst nur Gemüse.“ (Römer 14, 2).

Gleich darauf fügt er jedoch hinzu (Römer 14, 3): „Wer isst, soll den nicht verachten, der nicht isst; wer aber nicht isst, soll den, der isst, nicht richten; denn Gott hat ihn angenommen.“ In Römer 14, 20-21 heisst es schliesslich: „Zerstöre nicht um einer Speise willen das Werk Gottes! Alles zwar ist rein; aber verderblich ist es für den Menschen, wenn er es trotz dem Anstoss isst. Es ist gut, kein Fleisch zu essen und keinen Wein zu trinken noch etwas [zu geniessen], wobei den Bruder Anstoss nimmt oder verführt oder schwach wird.“ Mit diesen zwei Passagen sollte sich die sinnlose Diskussion eigentlich beenden lassen, weil Paulus hier klar und deutlich von Fleischessern und Vegetariern Toleranz verlangt.

Dass jemand die Bibel ins Spiel bringt, stört mich dann besonders, wenn ich sonst in seiner ganzen Ideologie keine Anzeichen von christlicher Nächstenliebe entdecke. Trotzdem will er (oder sie) mir nicht bloss seinen Glauben aufzwingen, sondern gleich auch seine Interpretation davon. Die Debatte ist in religiösen Gemeinschaften nämlich längst nicht entschieden. Sie flammt immer wieder neu auf.

Die Bibel enthält ebenfalls einige Argumente, die sich für Fleischverzicht aussprechen. Gerade moderne Gläubige beziehen sich gern auf die Bergpredigt, die sie entsprechend auffassen. Gewaltverzicht schliesse Gewalt gegen Tiere mit ein.

Wer sich allerdings auf diesen Streit einlassen will, sollte bibelfest sein. Wer sucht, der findet genügend Zitate, die den eigenen Standpunkt untermauern. Gläubige können sich die passenden Verse gegenseitig stundenlang um die Ohren hauen, ohne zu einer Einigung zu kommen. Erfreulich ist jedoch, dass heutige Christen häufiger Schlachtung, Massentierhaltung und die Auswirkungen auf die Umwelt hinterfragen. Sie betrachten den Menschen weniger als Mittelpunkt der Schöpfung, sondern begreifen allmählich, wie abhängig wir sind von der Natur. Vor allem aber können sie sich nicht mehr vorstellen, wie Jesus mit dem Schlachterbeil einem Lamm oder Kälbchen den Garaus macht.

Bibelzitate stammen aus der Zürcher Bibel 1978 (inkl. eckigen Klammern).