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Rindern ist es kein Bedürfnis, uns als Nahrung zu dienen.

Bild: D. Ochsenbein

Was soll nur aus den armen Rindern werden?

Die Antwort ist einfach: Nicht nachzüchten.

Als ich jedoch diesen Einwand von einer betagten Verwandten zum ersten Mal hörte, war ich vollkommen verblüfft. Arme Rinder? Wie bitte? Irritiert erkundigte ich mich, ob sie das ernst meine – eindeutig die falsche Reaktion. „Ja soll man die denn freilassen?“, rief die alte Dame zornig und schilderte ein abgedrehtes Szenario mit wild umher streifenden, sich wie Karnickel unkontrolliert vermehrenden Rindern, die – einer Heuschreckenplage gleich – ganze Landstriche verwüsten und Ernten vernichten. Sie war völlig ausser sich und hatte sich offensichtlich eine Zeit lang mit dem Thema beschäftigt, ehe sie mich unvermittelt in feindseligem Ton darauf angesprochen hatte.

Vegetarismus bedrohte ihr Weltbild. Was auf mich zu diesem Zeitpunkt geradezu absurd schwachsinnig wirkte, war für sie eine echte Sorge: Vegetarier wollten aus ihrer Sicht die „armen“ Rinder (und alle anderen Nutztiere) ihrer von Gott, der Natur oder sonst einer höheren Macht gewollten Bestimmung berauben. Konzepte wie „Tierleid“ oder „Verzicht auf Fleisch und Fisch aus Umweltgründen“ waren für sie nicht ansatzweise nachvollziehbar und widersprachen tatsächlich allem, was sie glaubte, hauptsächlich ihrem Verständnis der Weltordnung.

Selbstverständlich liegt dieser Frage ebenfalls die seltsame Annahme zu Grunde, dass plötzlich, von einem Tag auf den anderen, die ganze Menschheit beschliesst, Vegetarier zu werden. Es gelang mir, sie zu beruhigen, indem ich ihr erklärte, dass das eben nicht der Fall sei und dass allenfalls ein langsamer, schrittweise Rückgang in der Zucht erfolgen würde. Aber sie blieb bei ihrer Ansicht, dass es unsinnig sei, sich vegetarisch zu ernähren, sei auch überhaupt nicht gesund (und das von jemandem, die wegen diverser Krankheiten, die teilweise mit falscher Ernährung zusammenhingen, in ärztlicher Behandlung war, u. a. sehr hoher Blutdruck, Schilddrüsenüberfunktion, zu hoher Cholesterinspiegel und Osteoporose). Und nein, ich schreibe nicht in der Vergangenheit, weil sie Vegetarismus und Veganismus inzwischen mit mehr Verständnis begegnen würde, sondern weil sie unterdessen gestorben ist.

Jedenfalls wäre es einfach, ihre Sorge mit Alterssenilität abzutun, doch sie war bei klarem Verstand. In anderen Themengebieten war sie durchaus weltoffen oder sogar modern eingestellt, und unterdessen bin ich diesem „Argument“ bereits mehrmals begegnet, auch bei um Jahrzehnte jüngeren Menschen.

In Internetforen und Kommentaren handelt es sich dabei meist um ein reines Trollargument, aber es gibt tatsächlich Leute, die diese Frage ernst meinen. So oder so ist sie ein Zeichen dafür, dass der Fragesteller zumindest in nächster Zeit nicht in der Lage sein wird, Empathie Tieren gegenüber zu empfinden, die er oder sie als Nahrungsmittel betrachtet. Das Beste, was ein Vegetarier in so einem Fall erreichen kann, ist simpel, dass ihn die Person nicht weiter belästigt.