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Antibiotika

Bild: F. Zimmermann

Antibiotika und Resistenzen

Als Alexander Fleming zufällig 1928 das Penizillin entdeckte, war ihm nicht bewusst, dass er eine schimmlige Wunderwaffe gegen verbreitete Krankheiten gefunden hatte. Erst ab 1938 haben andere Wissenschaftler den Schimmelpilz zu einem Medikament weiterentwickelt.

Gefördert durch die Alliierten zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, begann die Massenproduktion und damit der Siegeszug des neuen Wundermittels. Zwar hatte es schon vorher ähnliche Wirkstoffe gegeben, jedoch erst nach dem Krieg erfolgte ein breitflächiger, weltweiter Einsatz. Penizillin war so erfolgreich, dass es zum Synonym für „Antibiotika“ wurde. Endlich konnten Infektionskrankheiten wie Wundbrand, Blutvergiftungen, Tuberkulose, Typhus, Cholera, Syphilis oder die Pest wirksam eingedämmt, ja nahezu ausgerottet werden. Jetzt sind sie wieder auf dem Vormarsch.

Resistenzen gab es immer, da die Bakteriengifte in Schimmelpilzen oder anderen Bakterien natürlich auftreten. Diese Resistenzen waren aber lokal und wenig verbreitet, doch der übermässige und teils falsche Einsatz von Antibiotika liess sie zu einem nicht zu unterschätzenden Problem werden. Ärzte verschreiben noch heute zu schnell Antibiotika, manchmal auf Verlangen der Erkrankten. Patienten wiederum brechen Therapien vorzeitig ab, weil sie sich wieder besser fühlen, worauf die nicht abgetöteten Erreger oder an sich harmlose Bakterien die Resistenzen weitergeben können (binnen dreier Stunden kann sich die überlebende Population vertausendfachen). Eine weitere Ursache war und ist die Medikamentenknappheit, beispielsweise nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems in manchen Ländern Osteuropas und in der heutigen Zeit überall in der Dritten Welt. Um Leben zu retten, verabreichen die Ärzte unter solchen Umständen das, was ihnen zur Verfügung steht, in der verzweifelten Hoffnung, rechtzeitig neue Medikamente zu erhalten, um die Therapien vollständig abschliessen zu können. Ist das nicht möglich – oder generell durch Unterdosierungen –, entstehen resistente Krankheitserreger. Selbst in den gut versorgten und modernen Krankenhäusern der Industrienationen werden antibiotikaresistente Keime zu einem immer grösseren Problem, weil dort nun einmal zwangsläufig Kranke und deren Erreger aufeinandertreffen. Das sind ideale Bedingungen für Bakterien, die so nicht nur Resistenzen erwerben und weitergeben, sondern auch genügend durch andere Krankheiten geschwächte Wirte finden. Wegen der Ansteckungsgefahr müssen mitunter ganze Abteilungen über Jahre geschlossen werden.

Selbst rezeptfreie Medikamente enthalten manchmal ebenfalls Antibiotika, während heutzutage jeder die rezeptpflichtigen problemlos im Internet bestellen kann. Dabei haben zu viele Menschen nicht begriffen, dass Antibiotika gegen virale Erkrankungen völlig wirkungslos sind: In einer im Auftrag der EU-Behörden durchgeführten Befragung waren 48 % der Meinung, dass Antibiotika gegen Viren helfen. 41 % glaubten, Grippe liesse sich mit Antibiotika heilen.

Auf den Punkt gebracht: Unsachgemässer oder zu häufiger Einsatz von Antibiotika führt zwangsläufig zu mehr resistenten bakteriellen Krankheitserregern. Mediziner wie Patienten sind gleichermassen gefordert, um diese Entwicklung zu bremsen. Nur dann sollten Antibiotika angewandt werden, wenn ihre Verwendung wirklich unumgänglich ist, damit sie in solchen Fällen tatsächlich wirken.

Spricht sich dieser Grundsatz in der Humanmedizin erst langsam herum, scheint man in der Tiermedizin noch nie davon gehört zu haben (2015 wurden laut „Swiss Antibiotic Resistance Report 2016“ 42 Tonnen Tier-Antibiotika verkauft). Immerhin, von staatlicher Seite aus hat man das Problem erkannt und geht (allzu gemächlich) dagegen vor. Während weltweit Fachleute ein Verbot von Antibiotika in Futtermitteln fordern, verlangt seit dem 1. April 2016 ein Gesetz in der Schweiz, dass Landwirte über solche Futtermittel Buch führen müssen. Nur Tierärzte dürfen Antibiotika verschreiben und können manche Arzneimittel nicht mehr auf Vorrat abgeben. Sind bei der Massentierhaltung allerdings einige wenige Tiere erkrankt, erhält vorbeugend meist der ganze Bestand das Medikament.

Das Bundesamt für Veterinärwesen betrachtet anhand der Resultate aus dem Antibiotika-Resistenz-Monitoring die aktuelle Situation in der Schweiz als vergleichsweise günstig. Laien wie mir fällt es jedoch schwer, diesen Optimismus zu teilen. Ich finde es nämlich beispielsweise beunruhigend, dass stets auch in Biogeflügel resistente Bakterien gefunden werden (in der Bio-Landwirtschaft dürfen Antibiotika nicht vorbeugend eingesetzt werden. Trotzdem wissen nicht einmal die Behörden, wie viel Antibiotika Bio-Bauern tatsächlich benutzen. Die Landwirte müssen das zwar protokollieren, was aber niemand auswertet). Die resistenten Keime verbreiten sich zudem über Gülle oder Festmist in Böden und Gewässern, wo sie wiederum in der Lage sind, die Resistenzen an andere Bakterien weiterzugeben (Gen-Übertragung). Studien weisen mit erschreckender Häufigkeit in lebenden Tieren aus Massentierhaltung resistente Keime nach – und in deren Haltern.

Im Schweizer Fleisch finden sich bei Stichproben wenigstens nur selten Rückstände der Arzneimittel selbst. Dafür sorgen einerseits die sogenannte „Absetzfrist“, andererseits entsprechende Kontrollen. Abhängig von Tierart und Arzneimittel dürfen eine gewisse Zeit vor der Schlachtung keine Antibiotika verabreicht werden, um das Fleisch davon freizuhalten. Die vor dieser Frist verabreichten Medikamente scheidet das Tier rechtzeitig aus (da wären wir dann wieder bei der Gülle, dem Mist, den Böden und den Gewässern). Im Ausland allerdings gibt es diese Vorsichtsmassnahmen nicht überall.

Bei Untersuchungen durch Behörden oder Konsumentenschutz-Organisationen zeigt sich immer wieder, dass ein grosser Teil des im Handel befindlichen Fleisches mit resistenten bzw. multiresistenten Erregern belastet ist.

Noch einmal: Hoher Einsatz von Antibiotika sorgt für eine entsprechende Verbreitung der Resistenzen. Es ist eine ganz einfache Milchmädchenrechnung. Nur eben, moderne Massentierhaltung funktioniert nicht ohne. Die Tiere leben zu dicht aufeinander gedrängt.

Dass es mit wenig Antibiotika geht, zeigen einzelne Betriebe, die diese Medikamente nur im Notfall vom Tierarzt verabreichen lassen. Solche Bauern behandeln ihre Nutztiere denn auch nicht wie kleine Fabriken, sondern achten auf das Tierwohl, geben ihnen genügend Platz, verfüttern Joghurt an die Schweine statt Arzneien. Dadurch steigen allerdings die Kosten und vermindern sich die Erträge. Aber zumindest mittel- oder langfristig sollten mehr Landwirte, Behörden und vor allem die Konsumenten begreifen, dass Tierwohl und menschliche Gesundheit direkt miteinander verknüpft sind, so lange sich eine Mehrzahl der Menschen von Fleisch und anderen tierischen Produkten ernähren will.

In der Humanmedizin sind die resistenten Bakterien ein wachsendes Problem (z. B.ESBL und MRSA). Teilweise behelfen sich die Ärzte mit älteren Antibiotika, gegen die einige Stämme nicht mehr resistent sind. Doch immer häufiger ist gegen diese Erreger kein antibiotisches Kraut gewachsen (und auch kein Schimmelpilz). Deshalb sterben in der Schweiz rund 200 Menschen jährlich an Infektionen durch resistente Keime (das ist eine eher vorsichtige Schätzung, kein genauer Wert). Weltweit sollen es jährlich 700’000 Todesfälle sein. Tendenz steigend.

Fast verzweifelt suchen manche Forscher nach neuen Wirkstoffen, wobei viele der grossen Pharmakonzerne die Kosten scheuen. Mit anderen Medikamenten, die länger eingenommen werden müssen als eine Woche oder 10 Tage, lässt sich schlicht viel mehr verdienen. Darum warten sie auf staatliche Forschungszuschüsse und Subventionen: Das finanzielle Risiko soll der Steuerzahler tragen oder eben die kleinen Firmen und die Universitäten.

Wie kann ich mich schützen?

Die ehrlichste Antwort ist einfach: nicht vollständig. Indem wir jedoch gewisse Vorsichtsmassnahmen beachten, können wir zumindest das Ansteckungsrisiko vermindern und dabei helfen, dass sich die entsprechenden Bakterien weniger verbreiten:

  • für Fleischkonsumenten: Fleisch immer getrennt von anderen Nahrungsmitteln vorbereiten. Anschliessend sämtliche gebrauchten Utensilien mit Spülmittel reinigen, Hände mit Seife waschen. Fleisch gut durchbraten
  • für Fleischkonsumenten: Geflügel nicht unter fliessend Wasser waschen, weil sich sonst durch Spritzwasser die Keime überall verteilen
  • Gemüse und Früchte gut waschen. Gegenstände, die mit der möglicherweise kontaminierten Oberfläche in Berührung gekommen sind, mit Spülmittel reinigen, Hände mit Seife waschen
  • generell beim Umgang mit Lebensmitteln auf eigene offene Wunden achten (z. B. Schnitte)
  • Rohkost-Convenience-Produkte meiden, auch Sprossen und Keimlinge
  • berührt an der Lebensmitteltheke ein Verkäufer / eine Verkäuferin ohne Handschuhe ein Nahrungsmittel, sollten Sie es zurückweisen, sofern Sie es ungekocht verzehren werden, ohne es zu schälen oder zu waschen. Beschweren Sie sich beim Filialleiter. (Beispielsweise Edelschimmelkäse, den Sie mit Rinde konsumieren)
  • auf Reisen ausserhalb Nordeuropas und Nordamerikas kein Gebäck, keine Glace, keine rohen Lebensmittel essen. Trinkwasser abkochen
  • keine roh zu verzehrende Nahrungsmittel kaufen, die andere Kunden berührt haben könnten, und die sie nicht waschen können (z. B. Brötchen im Offenverkauf)
  • ohnehin nach dem Einkauf die Hände desinfizieren oder waschen, sofern sie einen Warenkorb oder einen Einkaufswagen benutzt haben
  • Hände waschen nach jedem Toilettenbesuch. Darauf achten, weder mit Klobrille noch der Toilettenschüssel in Berührung zu kommen. Im Prinzip müsste man auf öffentlichen oder Firmen-Toiletten auch vermeiden, nach dem Händewaschen Regler von Wasserhähnen oder Türgriffe zu benutzen (wer jedoch den Türgriff nur mit einem Papiertuch berührt, wirkt auf seine Arbeitskollegen hochgradig paranoid oder völlig neurotisch). Andererseits können Sie die Mitarbeiter darauf ansprechen, die einfach am Lavabo vorbeilatschen
  • Vom Arzt nie Antibiotika verlangen. Wenn Sie trotzdem welche nehmen müssen, unbedingt die Kur mit der vorgeschriebenen Dosierung zu Ende führen
  • keine Operationen in Ländern ausserhalb Nordeuropas und Nordamerikas durchführen lassen
  • sogar in der Schweiz darauf achten, dass sich Spitalmitarbeiter vor jeder Behandlung die Hände desinfizieren (eine offizielle Empfehlung der Stiftung für Patientensicherheit)
  • eine ambulante Behandlung einer Spitaleinweisung vorziehen
  • beim Baden in Flüssen oder Seen kein Wasser schlucken. Anschliessend duschen
  • im Fitnesscenter jedes Gerät vor Gebrauch gründlich reinigen, falls das nicht bereits durch das Personal erledigt wurde
  • nach Fahrten im öffentlichen Verkehr, der Benutzung von Billetautomaten oder Bancomaten die Hände waschen oder desinfizieren
  • aufs Hände schütteln verzichten oder sich anschliessend möglichst demonstrativ die Hände waschen bzw. desinfizieren
  • keine Landwirte mit Massentierhaltung küssen

Zugegeben, einige Punkte auf dieser Liste sind nicht ganz ernst gemeint. Um sich jedoch wirklich einigermassen zu schützen, müsste man alle beachten (eigentlich sogar mehr) und dürfte sich nie ohne Desinfektionstücher aus dem Haus wagen. Angesichts der heutigen Lage ist es leider durchaus möglich, dass wir in wenigen Jahrzehnten nur noch mit Schutzmaske und Handschuhen unterwegs sein werden. Darum müssen wir heute handeln.

Vor allem sollten Behörden entsprechende Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung durchsetzen: in der Medizin ebenso wie bei der Nutztierhaltung, selbst wenn dadurch die Produkte für den Fleischkonsumenten teurer werden. Die Problematik hängt nämlich damit zusammen, dass die Leute billiges Fleisch wollen, dessen Produktion letztlich nur mit ungesunder und unmenschlicher Massentierhaltung möglich ist. Politiker müssen sich der Frage stellen, ob eine Förderung der vegetarischen oder veganen Ernährung nicht sinnvoll wäre, auch aus anderen Gründen.