Vitamin B9 (Folsäure)

Jährlich erkranken in der Schweiz 50 bis 60 Kinder bereits in den ersten Schwangerschaftswochen an Spina bifida, dem „offenen Rücken“, einer Fehlbildung des Rückenmarkes. Durch Einnahme von Folsäure (auch „Folat“) vor der Empfängnis liesse sich laut Bundesamt für Gesundheit 30 % dieser Fehlentwicklung verhindern. Das Risiko für Neuralrohrdefekte, Herzfehler oder Lippen-Kiefer-Gaumenspalten könne ebenfalls verringert werden durch Folsäure-Tabletten in einer Dosierung von 0,4 mg. Es genüge nicht, folsäurereiche Nahrungsmittel zu sich zu nehmen. Die SGE empfiehlt solche Präparate vier Wochen vor der Schwangerschaft. Dieses Wissen, so das BAG, werde in der Schweiz nur ungenügend durchgesetzt.

Deshalb und wegen einer in einem Ernährungsbericht 1998 festgestellten allgemeinen Unterversorgung der Bevölkerung mit B9 gab es bereits 1999 ein Postulat im Nationalrat, das die obligatorische Anreicherung von Grundnahrungsmitteln forderte, das abgelehnt wurde. Im Jahr 2000 wurde darum von privater Seite (hauptsächlich finanziert durch die Industrie) die „Stiftung Folsäure Offensive Schweiz“ gegründet (der fehlende Bindestrich ist kein Tippfehler unsererseits). Ihr erklärtes Ziel ist es, die Schweizer Öffentlichkeit über die Risiken eines Vitamin B9-Mangels zu informieren und die Einführung von Produkten mit zugesetzter Folsäure zu fördern. Die ursprüngliche Idee war damit aber noch nicht ganz vom Tisch, hat doch das BAG kürzlich auf seiner Website ein Rechtsgutachten aus 2006 veröffentlicht, das die Verfassungsmässigkeit einer obligatorischen Anreicherung von Mehl mit Vitamin B9 abklärt. Dort wird ein solches Vorgehen als unverhältnismässige Zwangsmedikation bezeichnet, für die keine gesetzliche Grundlage bestehe.

Folat ist wichtig für DNA- und RNA-Synthese (u. a. Zellteilung und -regeneration). Ein Defizit zeigt sich zunächst in einer Anämie (Blutarmut) und weiteren Veränderungen des Blutbildes mit erhöhtem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Entzündungen der Schleimhäute (z. B. Zungenbrennen). Eine genügende Versorgung soll Spermienzahl und -Qualität erhöhen. Wie die meisten wasserlöslichen Vitamine wird auch Folsäure einfach ausgeschieden, aber eine Überversorgung kann einen B12-Mangel verschleiern.

Der Bedarf für Erwachsene beträgt 300 µg. Die SGE beziffert den durchschnittlichen Verarbeitungsverlust lediglich mit 35 %, obschon das Vitamin äusserst empfindlich reagiert auf Licht (besonders UV-Strahlung), Hitze, Schwermetalle und sogar ein wenig auf Wasser. Je nach Art der Zubereitung sind die Verluste also deutlich höher, was die festgestellte Unterversorgung erklären könnte. Ausserdem behindern verschiedene Medikamente, Krankheiten des Magen-Darm-Traktes wie Zöliakie und natürlich Alkoholismus die Aufnahme.

In tierischen Produkten ist Folsäure vor allem in Innereien und Eiern vorhanden. Einen hohen Folatgehalt weisen Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, manche Gemüse und vor allem Hefe auf. Mittlerweile sind sehr viele Lebensmittel mit zugesetzter Folsäure im Handel.