Den armen Leuten in der Dritten Welt das Soja weg(fr)essen
Bei diesem Vorwurf ist es nicht einfach, ruhig zu bleiben, wird doch Vegetariern und Veganern mehr oder weniger unterstellt, wesentlich zum Welthunger beizutragen. Es zeigt sich zudem eine sehr starke Ablehnung, gepaart mit Unwissenheit, der mit blossen, überprüfbaren Fakten nicht leicht beizukommen ist. „Ich weiss, was ich weiss!“. Zudem habe ich immer das Gefühl, dass sich dahinter auch die Vorstellung verbirgt, Vegetarier würden den ganzen Tag über kiloweise Tofu in sich hineinstopfen, um wenigstens knapp ihren Eiweissbedarf zu decken.
Antwort: Erstens ist Soja für Vegetarier und Veganer keineswegs der einzige Proteinlieferant, und es ist problemlos möglich, den Eiweissbedarf ohne Soja oder Fleischersatzprodukte zu decken. Zweitens werden fast 90 % der Welternte als Tierfutter verwendet, grösstenteils als begehrtes Nebenprodukt der Ölproduktion. Abgesehen von Öl und Ölkuchen sind nur 2 % für menschlichen Verzehr bestimmt, hierzulande gentechnisch unveränderte Bio-Sojabohnen, die hauptsächlich aus Europa stammen. Schweizer können zusätzlich auf den immer grösser werdenden Anteil an einheimischen Soja hinweisen.
Ihr Diskussionsgegner wird sich vermutlich von diesen Fakten jedoch wenig beeindruckt zeigen und entsprechende Zweifel daran äussern (wieso etwas prüfen, wenn man die Antwort ohnehin schon kennt?). Den meisten fällt es schwer, sich von lieb gewonnenen Vorurteilen zu lösen, die einem argumentativ zudem so gut in den Kram passen. Trotz Tierfutter: Vermeiden Sie, den Vorwurf einfach zurückzugeben (was eher den Tatsachen entspricht). Geben Sie der Verlockung nach, im selben Ton zu kontern, verstricken Sie sich in ein sinnloses Wortgefecht. Falls Sie aber sachlich bleiben, entwickelt sich das Gespräch mit etwas Glück in eine tiefer gehende, gepflegtere Diskussion.
Hintergrund: Etwa 90 % der weltweiten Sojaernte wird in Ölmühlen gepresst, wobei rund 10 % Sojaöl und 90 % Sojamehl anfallen (auch als "TVP, texturiertes Sojaprotein, bezeichnet). Das im Wesentlichen nur als Tierfutter verwendet wird. Ca. 3 % dieses Mehls werden als Lebensmittel oder in der Nahrungsmittelproduktion genutzt. Es gilt dabei nicht etwa als Abfallprodukt, das irgendwie verwertet werden muss. Vielmehr sind Öl und Sojamehl „Koppelprodukte“. Beide Elemente sind gleichermassen erwünscht. Hauptsächlich findet das Öl in der Lebensmittelindustrie Verwendung (z. B. Salatöl, Brat- und Backfett), wird jedoch mit wachsendem Anteil für andere industrielle Zwecke gebraucht (beispielsweise Biodiesel, Farben auf Ölbasis usw.). Direkt der menschlichen Ernährung dienen rund 2 % der Welternte; der Rest wird verfüttert bzw. zu Futtermitteln verarbeitet.
Der Löwenanteil der weltweiten jährlichen Sojaernte wird also zu Tierfutter und landet auf diesem Umweg auf europäischen Tellern. Laut WWF stammen über 80 % des von Deutschland vor allem für die Fütterung importierten Sojas aus Südamerika, obwohl es durchaus heimische Alternativen zu Sojabohnen gäbe (nur eben nicht so billig, trotz der langen Transportwege) – globale Hauptexporteure sind übrigens Nord- und Südamerika, mit USA auf Platz 1, dicht gefolgt von Brasilien, mit Argentinien bereits weit abgeschlagen auf dem dritten Platz. Insgesamt sind über 70 % des Sojas gentechnisch verändert („transgen“).
Hierzulande legen wir für menschlichen Verzehr aber Wert auf natürliche Sojabohnen aus Bioproduktion (also frei von Genmanipulation). Diese Sojabohnen stammen fast ausschliesslich aus Europa. Zwar wird z. B. auch in Brasilien des höheren Preises wegen ebenfalls gentechnisch unverändertes, zertifiziertes Biosoja in kleinen Mengen angepflanzt, doch den Produzenten fällt es immer schwerer, die verlangte Qualität tatsächlich einzuhalten. Sie sind umgeben von riesigen Anbauflächen konventioneller Produktion, wo Pflanzenschutzmittel grosszügig mit Flugzeugen gesprüht werden – Wind und Pilotenfehler sorgen dafür, dass solche Biosojabohnen in Stichproben oft Rückstände von Pflanzenschutzmitteln aufweisen. Beim Transport oder in der Verarbeitung können die importierten Bohnen zudem durch transgenes Soja verunreinigt werden, was in Lebensmitteln nicht deklariert werden muss, so lange weniger als 1 % Gensoja enthalten sind. Es ist also nicht nur der Wunsch nach Nachhaltigkeit und kürzeren Transportwegen, der hiesige Nahrungsmittelproduzenten dazu antreibt, europäisches Soja zu verwenden.
Obwohl die Schweiz für Sojaanbau zumindest auf den ersten Blick nur wenig geeignet erscheint, hat man hier schon vor über 20 Jahren mit dem Anbau der begehrten Bohne begonnen, anfangs natürlich vor allem als Futtermittel. Trotz zunächst berechtigter Zweifel an Qualität und Ertrag haben wenige Pioniere bereits damals angefangen, Schweizer Sojabohnen für die Herstellung von entsprechenden Lebensmitteln zu verwenden. Kleine Tofureien bis hin zum Detaillisten Coop, dessen erklärtes Ziel es ist, seine Karma-Linie zu 100 % aus Schweizer Soja herzustellen, decken mittlerweile dank Neuzüchtungen einen grossen Teil ihres Bedarfs aus inländischer Produktion (80 bis 100 %, je nach Hersteller; einige verzichten allerdings vollständig auf Schweizer Soja). Schweizer Bauern, denen der Anbau möglich ist, erhalten zudem einen fairen Preis, der für sie Sojabohnen lukrativer macht als beispielsweise Weizen. Schweizer Tofu, allen noch immer bestehenden Vorbehalten zum Trotz, schmeckt übrigens ausgezeichnet.
siehe auch Wer Soja isst, zerstört den Regenwald, Soja und Welternährung
Letzte Änderung: 09.01.2018